dargestellt und erörtert für die junge Generation,
auf dass sie es leichter habe
1. Die Ausbildung dient der Ausbildung
Erstens glauben diesen Satz erstaunlich viele Menschen, zweitens ist er tautologisch und drittens ist er unzutreffend. Wenn du in diesen beiden Jahren der Ausbildung etwas lernst, dann nicht wegen, sondern trotz der Rahmenbedingungen und der Inhalte; und deine Ausbilder sind nicht deine Ausbilder, sondern deine Schüler.
Gleichwohl hat das Referendariat eine ethnologisch beschreibbare Funktion: Es ist ein Initiationsritus. So wie in „primitiven“ Gesellschaften Jugendliche allerlei mysteriösen und schmerzvollen Zeremonien unterworfen werden, bevor man sie in die Welt der Erwachsenen aufnimmt (z. B. Konfirmation), genau so wird der Hochschulabsolvent zwei Jahre lang in die Mangel genommen, um seine Eignung für eine Laufbahn in einer staatlichen Institution zu beweisen.
2. Der Vorbereitungsdienst dient zur Vorbereitung auf die Unterrichtspraxis
Eine Untervariante des ersten Irrtums und aus der offiziellen Bezeichnung hervorgegangen: Wahrscheinlich glaubt sogar die Verwaltung daran. Dabei lässt sich dieser Aberglaube gleich doppelt widerlegen.
Erstens und mittelfristig gedacht dient der Vorbereitungsdienst einzig und allein dazu, dich auf Prüfungssituationen (Lehrproben, Tag X) vorzubereiten. Darauf, dass du dann nicht schlapp machst, dass du dann noch denken kannst, wenn die letztgültige Version deines Entwurfs erst um fünf Uhr morgens aus dem Drucker gekrochen ist und du auf dem Zahnfleisch in die erste Stunde. Das steht alles schwarz auf weiß im ungedruckten Geheimen Lehrplan für die Zweite Ausbildungsphase.
Die nicht gezeigte Praxis zählt gar nichts, aber auch nicht einen Pfifferling; du merkst es schon daran, dass du häufig besser nicht eigene Klassen vorführst, sondern geliehene, und dass dies überhaupt kein Problem bei der Bewertung darstellt.
Zweitens und langfristig gedacht dienen die elaborierten didaktisch-methodischen Modelle (auch in Form kleinoperationalisierter Schrumpfversionen von Fachseminarleitern) vor allem dazu, dich auf dein Leben in der Berufspraxis vorzubereiten, indem sie dich gründlich traumatisieren; denn du wirst hinfort die Schuld an der misslingenden Praxis immer bei dir suchen und nicht in der Institution Schule, was subjektiv belastet und objektiv die Ruhe im Karton aufrecht erhält (vgl. H. Meyer, Leitfaden zur Unterrichtsvorbereitung, x-te Auflage, Ffm 19xx, S. 179ff. über „Feiertagsdidaktiken“. Als Stammtisch-Erklärungsmuster für schiefgehenden Unterricht ist die Variante die-Schüler-sind-heutzutage-so-blöd-geworden bekannt; auch diese Interpretation dient nur dazu, die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Ursachen der Misere abzulenken.)
In der Tat dient der Vorbereitungsdienst also zur Vorbereitung, aber nicht auf den Unterricht, sondern auf dein reibungsloses Funktionieren in staatlichen Bildungsanstalten.
3. Literatur und Theorie zur Fachdidaktik sind nicht wichtig: Was zählt, ist die Unterrichtspraxis
Theoriefeindliche Exkurse über die Praxisferne und damit Nichtigkeit fachdidaktischer Elaborate gehören zum Standardrepertoire des aufrechten Seminarleiters; denn er ist, versteht sich, ein in der Wolle gefärbter Praktiker und stolz darauf.
Falsch! (Nicht dass er ein Praktiker ist, sondern dass nur die Praxis zählt.) Die Lektüre fachdidaktischer Literatur kann peinlich sein – für den Ausbilder, denn nicht alle verfolgen immer alles. Sie trägt nicht unerheblich zur Professionalisierung bei, was sich vor allem in Unterrichtsanalysen und während der mündlichen Prüfung auswirkt: Da perlen dir dann wahre Kaskaden von Leerformeln (z. B. die immer passende „vieldimensionale Faktorenkomplexion“) aus dem Mund, und du gibst dir den Anschein, als beherrschtest du das Sprachspiel ausgezeichnet, und das hat mehr Einfluss auf die Note, als die Seminarleiter zugeben.
4. Hospitationen sollen Unterricht-im-Alltag zeigen
Manche Seminarleiter behaupten, dass sie Unterricht sehen wollen, der den normalen Alltag widerspiegelt. Also keine ellenlangen Tafelanschriebe vor der Stunde kalligrafieren; also keine Klaviere, Elefanten oder Raumstationen als Realobjekte auf den Lehrertisch stapeln: Ganz normalen Unterricht zeigen mit Hausaufgabenkontrollen oder Tests zum Stundenbeginn, Klärung organisatorischer Fragen kurz vor oder Hausaufgabenstellung nach dem Klingeln; sollte man meinen.
Alles falsch. Du zeigst Zauberstunden, für die du mindestens einen Möbelwagen, besser zwei mietest, den OH-Projektor wienerst, eine neue Tafel anschaffst, die Schüler mit Kuchen oder DM 1500,- pro Lehrprobe schmierst und mit Ecstasy dopst.
Ein manchmal kolportierter Witz (Was hat bloß der Lkw-Fuhrpark vor der Schule zu suchen? – Der Referendar hat eine Lehrprobe.) ist vor diesem Hintergrund eine empirisch nachgewiesene Tatsachenbeschreibung.
5. Unterricht soll die eigene pädagogische Identität zum Ausdruck bringen
Manche Seminarleiter behaupten, dass sie sehen wollen, wie das pädagogische Profil des Azubis aussieht: Man solle seine eigenen Stärken entdecken und den Unterricht so gestalten, wie man selbst dazu stehen könne, weil Unterricht anders gar nicht möglich sei.
Falsch. Der erste Ausflug nach Bekanntgabe der Namen der Fachseminarleiter muss in die nächste gut bestückte pädagogische Bibliothek führen (so was existiert in Berlin nicht, du musst schon nach New York fliegen), um die einschlägigen Veröffentlichungen der Fachseminarleiter doppelt zu kopieren (man kann nie wissen; vielleicht kippst du Kaffee über das eine Exemplar). Diese berückenden Ausbildertexte sind manchmal an abstrusen Orten veröffentlicht (und seien es Gedenkschriften ihrer alten Gymnasien). Allein es gibt sie garantiert, denn Seminarleiter halten etwas auf sich.
Und dann, bitte sehr, die einleitenden und die resümierenden Sätze auswendig lernen, denn sie enthalten das Credo des Ausbilders, mithin die Wahrheit. Auswendig lernen, bei der ersten Lehrprobe umsetzen, auch wenn’s dir gegen den Strich geht, und bei der ersten Unterrichtsanalyse korrekt zitieren, auch wenn’s nicht zum Thema gehört. Aber es dient auf jeden Fall der Note, denn gut gelaunte Menschen sind lieb, sogar Fachseminarleiter.
6. Die Examensstunden sind wichtig
Dieses Gerücht wird immer wieder gezielt gestreut, um dir einen gehörigen Schrecken einzujagen. Immerhin machen die beiden Noten ein Drittel der Gesamtnote aus, und dein Körper beginnt zu streiken.
Aber so können nur Erstklässler rechnen. In Wahrheit ist die Note nach der Vornote und dem Ergebnis der Examensarbeit längst ausbaldowert in Geheimen Sitzungen von Haupt- und Fachseminarleitern (von denen du weder in der AusbO noch gar in der 2. LehrerPO die kleinste Spur findest).
Und wenn du dann deine große Stunde hast mit Vornote Vier: dann bekommst du sie, auch wenn dein Kollege mit Vornote Zwei für exakt die gleiche Stunde eine Zwei absahnen würde. Ein Gleiches gilt für die mündliche Prüfung: Die Vornoten sind enorm wahrnehmungssteuernd. Die Notengeber lesen anstelle des Morgengebetes tagaus tagein eine historisch-kritische Version von Morgensterns Palmström-Gedicht. Man muss sie verstehen.
Es gibt Ketzer, die davon ausgehen, dass sogar nur die allererste Stunde wichtig ist und alles andere null, nichtig, eitel und umsonst; aber dafür fehlen die notwendigen empirischen Beweise.
Fazit: Die Examensarbeit und die Lehrproben des dritten Semesters sind wichtig, sonst nichts. Das kann dich beruhigen oder auch nicht; es ist Tatsache.
7. Hauptseminarleiter sind wichtig und fleißig und haben soo viel zu tun
Ja, doch, das glauben wir auch; das ist gar kein Irrtum. Natürlich sind Hauptseminarleiter wichtig und fleißig und haben soo viel zu tun. (Wie konnte dieser Satz bloß auf diese Seite geraten, hey, Setzer, wo bist du Knilch?)
(Nachtrag 2014: Dieser Text hat locker 20 Jahre auf dem Buckel und ich distanziere mich ausdrücklich von ihm, denn er hat schon damals nicht gestimmt und heutzutage ist sowieso alles besser geworden. Er steht hier nur aus historischen Gründen.)